Ende 1972 begann ein Bereichsleiter der Messe Essen namens Grossmann, eine Messe zum Thema Sicherheit zu planen. Bei seinen Recherchen stieß er auf die Von zur Mühlen’sche Sicherheitsberatung und nahm Kontakt zu mir auf. Wir trafen uns wiederholt und ich erklärte ihm die Branche, sofern man damals überhaupt bereits von einer Branche sprechen konnte.
Anbieter von Sicherheitsprodukten waren überwiegend kleine mittelständische Unternehmen, die Alarmanlagen bastelten und installierten, Schloss- und Beschlaghersteller und natürlich Wachunternehmen. Sehr inhomogen, sehr unprofessionell – eigentlich ganz niedlich. Es gab außer der Werkschutz GmbH auch keine professionellen Beratungsunternehmen. Vereinzelt berieten pensionierte Offiziere ohne gewerbliche Erfahrung, ehemalige Nachrichtendienstler oder Polizisten im Ruhestand. Es gab keine systematische Ausbildung und keine Literatur. In Deutschland gab es nicht eine einzige frei abonnierbare Fachzeitschrift außer dem Industriewarndienst, der mit fast ausschließlich politischen Themen über die SBZ (sowjetisch besetzte Zone) und deren Spionage berichtete. Fast völlig ohne Wissen aus erster Hand. Den Sicherheits-Berater gab es auch noch nicht.
Ich konnte Grossmann viele Tipps geben, wie man welche potenziellen Aussteller ansprechen und einwerben sollte. Ich half bei dem Versuch einer Clusterbildung der Aussteller und stellte zufällig auch die Kontakte zur Messe in Utrecht her, die dann im jährlichen Wechsel mit Essen eine Kooperationsmesse gründete.

Heute bezeichne ich die Sicherheitsbranche als ein Haifischbecken. Das ist allerdings insofern nicht ganz richtig, als sie das von An-fang an war. Das erste Mal erlebte ich juristischen Gegenwind mit recht üblem Droh- und Druckcharakter gleich nach dem Erscheinen der allerersten Ausgabe des Sicherheits-Berater vom 2.9.1974.
Auf der ersten Sicherheitsmesse in Essen (SECURITY/Safety) hatte der Sicherheits-Berater einen kleinen Stand mit einem schwarzen Filztuch auf einem Tapeziertisch und gelber Schrift, den Farben des Blattes. Der Anbieter eines Zutrittskontrollsystems (ZKS) hatte für den Zutritt zu seinem Messestand mit Pressefrühstück eine „unfälschbare“ Karte angekündigt. Er war Lizenznehmer eines britischen Unternehmens. Zur Werbung verschickte er als Einladung auf seinen Messestand eine Plastikkarte mit Zutrittsberechtigung zu seinem Stand. Was Menschen erdenken, ist immer fälschbar – davon war ich überzeugt und es sträubten sich meine Nackenhaare bei der vollmundigen Werbung des Ausstellers, eines schwäbischen Unternehmens, das ansonsten Wächterkontrolluhren herstellte. Ich wollte mehr über den Wunderausweis wissen.
Telefonisch verweigerte man mir im Vorfeld der Messe jegliche Auskunft zum technischen Funktionsprinzip des “Wunderwerks”. Ich müsse doch verstehen, dass das Funktionsprinzip geheim gehalten werden muss. Ich versuchte sodann, die Plastikkarte zu durchleuchten, um einen Hinweis zu erhalten. Die Plastikkarte war auch unter hellstem Licht nicht zu durchleuchten. Ich tippte aber auf Magnetismus. Von einer Büroklammer knipste ich ein Stück des Drahtes ab und legt es auf die Karte. Dann bewegte ich die Karte in Schräglage. Der Metallsplitter rutschte und blieb dann hängen. Mit einem Schnipsel Papier schob ich ihn weiter, wieder blieb er hängen. Mein Verdacht bestätigte sich. So besorgte ich mir bei einem Schlosser, der seine Werkstatt in der Nähe meines Büros hatte, ein Tütchen Eisenfeilspäne. Das Pulver ließ eindeutig erkennen, dass – nach meiner Erinnerung – 64 Minimagnete in den Plastikausweis eingebettet waren.
Ich besorgte mir sodann bei einem Lieferanten von Magnetpinnwänden eine Magnetfolie. Sie sah aus wie dünnes Linoleum oder etwas festeres Wachstuch. Damals benutzte man das Material für Metaplantafeln. Mit einer Leder-Lochzange stanzte ich 64 kleine Magnete in etwa der Größe der durch die Eisenfeilspäne sichtbar gemachten Magnetpunkte aus. Dann nahm ich eine Pinzette und wollte mit ihr die Magnete auflegen, Süd auf Nord und umgekehrt. Falschherum wird ja abgestoßen – insofern war das kein Hexen-werk. Nur leider ist eine Pinzette magnetisch und es funktionierte nicht so richtig. Also schnitzte ich mir eine Pinzette aus etwas längeren Streichhölzern wie wir Zigarren- oder Pfeifenraucher sie nutzten. Es klappte! Mit UHU und Klebeband fixierte ich die Punkte auf einem Stück Pappe. Auf der Messe wies ich nach, dass ich mit dieser primitiven Fälschung Zutritt zum Messestand des Ausstellers bekam. Ein GAU für den Aussteller.
Es vergingen keine drei Stunden und ich bekam Besuch auf meinem Messestand. Der Geschäftsführer des Unternehmens mit drei Anwälten und einer vorbereiteten Unterlassungserklärung bedrängten mich, mein Ergebnis nicht zu veröffentlichen oder sonst wie bekannt zu machen. Anderenfalls würde ich auf Schadenersatz verklagt und ich könnte mir doch wohl vorstellen, wie teuer eine solche Entwicklung, die der Markt zudem dringend brauche, sei. Müsste ich alles bezahlen. Meine Antwort war klar:
“Der Sicherheits-Berater wird nichts veröffentlichen, wenn das Produkt sofort zurückgezogen und auf der Messe nicht als „unfälschbar“ präsentiert wird. Wie der Name dieses Blattes schon sagt, widmet es sich der Sicherheit und kann Scharlatanerie oder nunmehr – nach Kenntnis der Fälschbarkeit – Betrug nicht unterstützen oder schweigend hinnehmen.“
Das Produkt und die Prospekte wurden vom Messestand abgeräumt. Da das Ausprobieren der gefälschten Karte anlässlich einer Presseeinladung zur Messeeröffnung stattgefunden hatte, sprach sich das Ergebnis herum. Journalisten kamen zu meinem Stand und der Sicherheits-Berater hatte seine ersten Fans und Multiplikatoren. Sie ließen sich das Falsifikat zeigen und erklären. Ich bat sie, den Firmennamen nicht zu nennen, sondern nur den Sachverhalt publizistisch auszuwerten. Für mich war die Messe ein voller Erfolg. Mehrere Aussteller haben in den Folgejahren unser Unternehmen, die VZM GmbH, in ihre Entwicklungslabore eingeladen, um Neuentwicklungen in einer frühen Phase vorzustellen und um Rat zu fragen. Bis heute.