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Interview mit Sicherheitsexperte Jörg Schulz anlässlich des Anschlags auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt

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Herr Schulz, in Magdeburg gibt es fünf Todesopfer und über 200 Verletzte und Schwerstverletzte zu beklagen. Was geht Ihnen ein paar Tage nach dem schrecklichen Ereignis in Magdeburg durch den Kopf?

Schulz: Unsere Gedanken sind bei den Betroffenen, unsere Trauer und unser Mitgefühl gilt allen Angehörigen. Für Verletzte und anderweitig Betroffene hoffen wir nur das Beste, mögen sie möglichst bald wieder wohlauf sein.

Wie ordnen Sie als Sicherheitsberater und -Experte den Anschlag bezüglich des Täterverhaltens und des politischen Umfeldes ein?

Der Anschlag hat uns in einer Zeit getroffen, in der sich eigentlich alle nach Ruhe, Besinnlichkeit und Festlichkeit sehnen. Dies macht die Tat umso perfider, so dass eine Einordnung noch schwerfällt.

Auf den allerersten Blick drängen sich böse Erinnerungen an den Anschlag auf den Breitscheidplatz 2016 in Berlin auf. Doch – soweit die Fakten bekannt sind – wohl wirklich nur auf den ersten Blick. Bei Anis Amri, der mit einen Sattelschlepper in den Berliner Weihnachtsmarkt fuhr, handelte es sich um einen behördeneingestuften Gefährder, der durch das Sicherungsraster fiel. Der Berliner Anschlag war ein Terroranschlag, der „Islamische Staat“ stand dahinter.

In Magdeburg verhält es sich anders. Der mutmaßliche Täter Taleb Al-Abdulmohsen stammt aus Saudi-Arabien, war als politischer Flüchtling und Asylant bei uns anerkannt und erhoffte oder erwartete vom Staat Unterstützung gegen von ihm subjektiv wahrgenommenen Bedrohungen und Benachteiligungen aus dem islamistischen Umfeld. Er absolvierte eine Facharztausbildung in Deutschland und – ein wesentlicher Unterschied – trat mehrfach antiislamistisch in Erscheinung. Die Einschätzungen von Behörden gehen von einer „gesichert“ islamfeindlichen Einstellung aus. Al-Abdulmohsen wird dem Rechtsextremismus zugeordnet.

Aber den Behörden war er nicht unbekannt. Es gab von Ihm selbst wiederholt Gewaltdrohungen und auch Hinweise von Behörden und Bürgern, die auf seine Gewaltbereitschaft hinwiesen. Er selbst brachte seine Frustration gegenüber dem deutschen Staat, von dem er sich in vielfältiger Weise benachteiligt und um Gerechtigkeit betrogen fühlte, in diffusen Statements öffentlich und im Netz, mehrfach zum Ausdruck.

Das klingt in der Tat nach Unterschieden.

„Natürlich lässt sich fragen, ob diese Schwachstelle, die den Veranstaltern bewusst sein musste, nicht hätte besser geschützt werden können.“

Ja, Unterschiede, aber auch Parallelen sind zu erkennen. Das Täterverhalten und die Anschläge sind eindeutig unterschiedlich motiviert. Islamistischer Terror in Berlin, ein diffus von Institutionen frustrierter Asylant mit hohem Ausbildungsniveau in Magdeburg. Das heißt: vollkommen unterschiedliche Motive. Beide aber mit ungebremster Gewaltbereitschaft.

Unterschiedlich auch das Tatverhalten. In Berlin ein schwerer Sattelschlepper. In Magdeburg ein PKW, wenn auch als SUV nicht von der kleinsten Sorte. Zum Zeitpunkt des Berliner Anschlages hatte man solche Anschläge wie Anfahren, Rammen etc. noch nicht wirklich auf dem Schirm. Es gab deshalb auch kaum Sicherungsmaßnahmen. Wobei es aus Sicherungssicht schon sehr aufwändig wäre, einen schweren LKW aufzuhalten.

In Magdeburg hingegen gab es ein Sicherungskonzept, das durchaus schlüssig schien. Nur kann kein Sicherungskonzept absolut sicher sein. In Magdeburg wurde eine Anlieferungs- und Rettungsgasse genutzt, die es unvermeidlich für jeden Weihnachtsmarkt oder weitergedacht, für jede größere Veranstaltung, geben muss. Der Täter hat vorher sicherlich umfangreicher recherchiert, observiert und die Schwachstelle erkannt. Natürlich lässt sich fragen, ob diese Schwachstelle, die den Veranstaltern bewusst sein musste, nicht hätte besser geschützt werden können.

Sie sprechen das Sicherungskonzept an. Wie ordnen Sie als Sicherheitsberater und -Planer das Ereignis bezüglich des Sicherheitskonzeptes ein?

„Sicherheitskonzepte können bestmöglich behindern, aber eine hundertprozentige Garantie kann und wird es nicht geben.“

Im Tathergang und auch im Sicherheitskonzept finden wir viele Muster wieder, die für Sicherheitskonzepte und Sicherheitsstrategien im Allgemeinen, sowohl für den Objektschutz aber auch für den Veranstaltungsschutz gelten.

  • Sicherheitskonzepte können Ereignisse nicht verhindern. Verhindern bedeutet 100 Prozent. Und eine sich auch hier wieder zeigende lebensnahe Erkenntnis ist, dass Sicherheitsmaßnahmen, die von Menschen gemacht werden, auch von Menschen unterlaufen werden können. Sicherheitskonzepte können bestmöglich behindern aber eine hundertprozentige Garantie kann und wird es nicht geben.
  • Die Wirksamkeit von Sicherheitsmaßnahmen hat immer etwas mit der Motivation der Täterschaft zu tun. Während die Maßnahmen, die wir in den letzten Wochen auf vielen Weihnachtsmärkten gesehen haben, für viele potenzielle Straftäter mit geringer krimineller Energie eine gute Wirksamkeit gezeigt haben, gab es wieder einmal doch den einen Fall, wo jemand sehr entschlossen sehr motiviert vorgegangen ist und die Sicherheitsmaßnahmen umgangen hat. Der Zusammenhang zwischen der Motivation des Täters und der Wirksamkeit der Maßnahmen lässt sich hier zweifelsfrei erkennen.
  • Zudem gilt, dass das Mittel der Prävention immer auch ein Stück weit im Kopf des Täters wirkt – oder eben auch nicht. Der Täter ist eine „nicht kooperative Komponente“ im Sicherheitskonzept. Oft wirken präventive Maßnahmen, so dass Täter abgeschreckt und von ihrem Tun abgehalten werden. Jedoch kann Prävention bei entsprechender Motivation eben auch versagen, dann ist sie wirkungslos.

Wie beurteilen Sie den Tathergang beziehungsweise, was heute dazu bekannt ist?

Auch hier sehen wir immer wieder Parallelen zu Sicherheitskonzepten in Objekten und urbanen Flächen. Im gegenständlichen Fall gelangte der Täter über einen Flucht- und Rettungsweg auf das Gelände. Dies ist ein klassisches Problem bei Sicherheitskonzepten. Flucht und Rettungswege sind im Spannungsfeld zwischen ungehindertem Flüchten einerseits und Verhindern des unbefugten Eindringens andererseits immer Schwachstellen, denen mit besonderen Maßnahmen zu begegnen ist.

Im Sicherungskonzept gibt es dazu üblicherweise mehrere Komponenten: Es gibt die baulichen, die technischen, die organisatorischen und die personellen Sicherheitsmaßnahmen. Bei Veranstaltungen wie Weihnachtsmärkten hat das Ganze einen stark temporären Charakter, technische Maßnahmen sind vielleicht bis auf Drohneneinsätze oder Bodycams der Einsatzkräfte sehr stark unterrepräsentiert. Insofern müssen baulich-mechanische Maßnahmen sehr wirksam und vor allem lückenlos sein. Denn bei Tathergängen mit LKW und PKW ergibt sich eine sehr kurze Tat- und damit Reaktionszeit. Das bedeutet, organisatorisch-personelle Maßnahmen können im Nachgang Hilfeleistung stellen, aber vorab kaum verhindern.

Sehen Sie Versäumnisse bei den Verantwortlichen?

Meine Einschätzung gilt dem Sicherheitskonzept: Zum einen sind die Ermittlungen noch in einem sehr frühzeitigen Stadium und es ist wenig Substanzielles darüber bekannt, wie das Sicherheitskonzept hier ausgesehen hat. Zum anderen lässt sich aber aus dem Gesagten bereits erkennen, dass ein Sicherheitskonzept, wenn es ganzheitlich gestaltet ist, natürlich sehr wirksam sein kann. Immer aber birgt es Restrisiken, denen mit verhältnismäßigen Maßnahmen eben nicht begegnet werden kann. So benötigen zum Beispiel Weihnachtsmärkte eben Erschließungswege für Einsatzkräfte, für Lieferverkehr, für Ver- und Entsorgung und nicht zuletzt auch für Flucht- und Rettungswege. Insofern hat auch ein gut gemachtes Sicherheitskonzept das Potential, Restrisiken zu bergen, die sich Täter zunutze machen können.

Was könnte Ihrer Meinung nach bei solchen Veranstaltungen zur Verminderung oder am besten natürlich zur Vermeidung von solchen Vorfällen eingesetzt werden?

Na ja, zum einen das bekannte Portfolio an Maßnahmen, wie zum Beispiel mechanische Barrieren. Diese müssen aber in Gewicht und Verankerung dem erwarteten Tatfahrzeug entsprechend ausgelegt werden.

Veranstaltungsflächen wie Weihnachtsmärkte unterscheiden sich von klassischen Veranstaltungen dadurch, dass es in der Regel keine zentralen Einlässe, Ein- oder Ausgänge gibt. Die Märkte erstrecken sich oft über viele Straßenzüge und Flächen. Das macht eine Absicherung schwierig und aufwändig. Auch weil man neben den angesprochenen Rettungswegen auch dem notwendigen Anliefer- und Anliegerverkehr Rechnung tragen muss.

Was zurzeit noch kaum bis gar nicht eingesetzt wird, wäre Videoüberwachung, auch schon im Vorfeld von Zufahrtswegen. In Verbindung mit Detektion von Verhaltensauffälligkeiten im Verkehr oder auch bei Personen. Solche Bildanalyseverfahren gibt es bereits. Diese schützen aber natürlich nur, wenn es auch kurzfristige Reaktions- und Einsatzmöglichkeiten gibt.

Desweiteren könnten ausfahrbare Fahrsperren (Sperrdorne, Zacken) in den erforderlichen Zu- und Rettungswegen eingesetzt werden. Solche Sicherungsmaßnahmen gibt es auch als mobile Einrichtung, die nach Ende der Veranstaltung wieder entfernt werden können. Im Objektschutz sind dies keine unbekannten Einrichtungen zur Sicherung von Zu- und Anfahrten. Der berechtigte Anlieferer kann unbeschadet durch, bzw. drüberfahren, bei Anschlagsverdacht gehen sie hoch und verhindern zuverlässig ein Durchfahren.

Wie werden Weihnachtsmärkte der Zukunft nach ihrer Meinung aussehen?

Das ist eher eine gesellschaftspolitische Frage, als eine, die im Sicherheitsmanagement zu beantworten ist. Sicherheitsstrategien würden noch viele weitere Maßnahmen an einem Weihnachtsmarkt einsetzen lassen. Die Frage ist nur, ob wir unseren Glühwein in einem Hochsicherheitstrakt noch genießen können, in dem Einsatzkräfte allgegenwärtig sind und restriktive Sicherheitsmaßnahmen konsequent umgesetzt werden. Es bleibt abzuwarten, was sich aus dem aktuellen Ereignis an Erkenntnissen herauskristallisiert und welche Konsequenzen dann verhältnismäßig sind. Am besten wäre es, wenn es in unserer Gesellschaft weniger Konflikte gäbe, so dass die Motivation der Täter zurück geht. Aber auch dies wird Einzelfälle nie ausschließen.

Danke für das Interview!

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