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1ZKDB – „Es kann jeden treffen “

Stadtführung

Melanie Konrad aus Linz am Rhein lebt seit acht Jahren in Bonn, vier Jahre davon „auf der Straße“. Seit dreieinhalb Jahren zeigt sie Teilnehmern an ihrer „Stadtstreife“ die Bundesstadt aus der Perspektive von Obdachlosen.

Mittwoch, 04.12.24, 14 Uhr, Treffpunkt Bonner City, Poststraße, beim Maximiliancenter. Also dort, wo zum Beispiel die neue Filiale der Spezialisten für „Wegwerfmode“ Primark u.a. eine kulturelle Tradition wie „Mr. Music“ vertrieben hat , wo man seit 1992 Schallplatten, CDs und Konzertkarten kaufen konnte. Hier ist ein Symbol für ungebremsten Kommerz im Stadtbild an die Stelle einer Ikone der fachkundigen Beratung getreten.

Der Kontrast des „Fast Fashion“-Tempels zum Grund für das Ansteuern dieses Treffpunkts könnte kaum größer sein: Melanie Konrad aus Linz am Rhein lebt seit acht Jahren in Bonn, vier Jahre davon „auf der Straße“. Nachdem sie zunächst wieder eine Wohnung gefunden hatte, ist die 44jährige seit Januar diesen Jahres erneut obdachlos geworden. Ursprünglich war sie in diese prekären Lebensumstände dadurch geraten, dass das Unternehmen, in dem sie arbeitete, verkauft worden war. Der neue Besitzer entließ prompt alle Mitarbeiter, um sie durch billigere Ressourcen einer Zeitarbeitsfirma zu ersetzen. Als völlige Kompromisslosigkeit seitens des Vermieters hinzukam, verlor sie auch ihre Wohnung.

Teufelskreis
„Und damit hast Du in dieser Gesellschaft einen Stempel auf der Stirn“, erläutert Melanie Konrad. „Ohne Wohnung bekommst Du keine Arbeit, ohne Arbeit keine Wohnung. In meinen acht Jahren in Bonn habe ich ein, zwei Fälle erlebt, wo jemand aus der Obdachlosigkeit heraus wieder eine Wohnung gefunden hat. Aber ich habe leider noch nie erlebt, dass jemand aus der Obdachlosigkeit heraus eine Arbeit gefunden hätte. Potenzielle Arbeitgeber unterstellen oder befürchten zumindest, dass jeder Obdachlose schmutzig, unzuverlässig und unehrlich ist. Und außerdem suchtkrank.“

Melanie Konrad erläutert diesen Teufelskreis ruhig, aber unmissverständlich einer kleinen Gruppe von Zuhörern. Zuhörern? Genau, für den extra hierfür gegründeten Verein stadtstreifen e.V. bietet sie seit dreieinhalb Jahren eine sehr alternative Stadtführung – Stadtstreife genannt – in Bonn an. In deren Verlauf zeigt sie den Teilnehmern die Bundesstadt aus der Sicht von Obdachlosen. Die heutige Gruppe besteht aus Schülern einer Förderschule in Sankt Augustin – und zwei Journalisten, die sich netterweise dazwischen „mogeln“ durften. Der Verein hat übrigens im August 2023 den „Landes-Heimatpreis NRW“ erhalten.

„Ich habe mich nur vergrößert“
„Ich bin nicht wirklich wohnungslos, ich habe mich nur wohnlich vergrößert“, meint unsere Führerin gerade mit trockenem Humor. „Jetzt ist die ganze Stadt meine Wohnung.“

Als obdachlos werden Menschen bezeichnet, die keinen festen Wohnsitz und keine Unterkunft haben. Sie übernachten im öffentlichen Raum wie Parks, Gärten oder U-Bahnstationen.
Wohnungslos werden Menschen genannt, die über keinen mietvertraglich abgesicherten oder eigenen Wohnraum verfügen, obdachlos sind, vorübergehend bei Verwandten oder Bekannten untergekommen sind, in Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege oder in kommunalen Einrichtungen leben. Diakonie.de

Wohnzimmer
„Hier – am Kaiserplatz, beim Busbahnhof – stehen wir gerade in meinem Wohnzimmer.“ Bei jeder Station der rund anderthalb Stunden dauernden Führung erläutert sie einige für die Obdachlosen in Bonn wichtige Lebensumstände und beantwortet Fragen der Gruppe. Fragen, die sie ausdrücklich ermuntert und begrüßt.

In ihrer „guten Stube“ erklärt sie uns auch, was bezüglich Wohnen und Leben alles gut funktioniert, hier in Bonn: Eine wichtige Rolle spielt dabei der Verein für Gefährdetenhilfe Bonn e.V. Hier können Obdachlose duschen und Wäsche waschen. Hier können sie Post empfangen. Auch ein Konto kann vom Verein für sie geführt werden, damit sie das sogenannte Bürgergeld empfangen können. Sozialarbeiter und Ärzte kommen zu bestimmten Zeiten vorbei. Und einmal die Woche steht den „Kunden“ der VFG bei Bedarf sogar ein Rechtsanwalt zur Verfügung. Apropos Bürgergeld … Melanie: „Die 560 Euro reichen im Winter für maximal drei Wochen, wenn Du sehr sparsam bist. Und im Sommer sogar nur für zwei. Aber die meisten Monate haben schließlich vier oder sogar noch mehr Wochen…“
Warum ist der Sommer so viel teurer? „Weil Essen in der Hitze viel schneller verdirbt“

Ein weiterer ungemein wichtiger Anlaufpunkt sind die Hilfsangebote für Obdachlose der Caritas Bonn. Zu den vielen Dingen, die Melanie lobend hervorhebt, gehört auch, dass „Kirchenleute“ abends belegte Brötchen an den Kaiserplatz bringen – und Gespräche anbieten.

Küche
Apropos Brötchen – im Weiterschlendern erfahren wir, dass Melanie in der „Einrichtung“ des VFG zu Mittag essen kann. Die Mahlzeiten dort sind zwar nicht völlig umsonst. „Aber mit Preisen wie 1,50 Euro für ein Schnitzel mit Pommes und Salat sind sie für uns erschwinglich.“

Keller
Wo lässt man als obdachlos gewordener Mensch seine Siebensachen, will eine Schülerin nun wissen. „Das ist wirklich ein Problem. Mir geht es insofern besser als manchen von uns, als es mir mit meinem Mann zusammen gelungen ist, eine Garage anzumieten. Und für die Dinge, die wir brauchen, haben wir uns einen Bollerwagen gekauft. Denn so circa 60 Kilo an Zeug kann man nicht einfach so mit sich herumschleppen.

SIBd12/24
Melanie in ihrem „Schlafzimmer“, aber nicht zur Schlafenszeit
Bildquelle: Harald Oppitz

Schlafzimmer
Den Schülern wird es allmählich kühl auf unserer Stadtstreife. Dabei ist es noch heller Nachmittag. Wenn man jetzt schon friert, wo also schläft eine Obdachlose, speziell im Winter? Melanie zeigt es uns, denn jetzt bewegen wir uns zum nächsten U-Bahn- Eingang: „In Bonn ist es uns vom 01.11. bis 01.04. gestattet, an jeder U-Bahn-Haltestelle zu schlafen.“ Und was ist, wenn es vor November oder nach Anfang April noch sehr kalt wird?
„Dann müssen wir „Hasch mich“ mit den Mitarbeitern der Stadtwerke spielen. Manche sind cool und dulden uns einfach, andere rücken immer wieder aus, um uns zu vertreiben…“

Es gibt außerdem sogenannte „Notunterkünfte“ (VFG) beziehungsweise „Notübernachtung“ (Caritas). „Aber mit Hund darf ich da nicht ‘rein“ (Melanie hat einen Vierbeiner namens Filou, der aber diesmal nicht an der Führung teilnimmt).

„Im Sommer muss man sich einen möglichst sicheren, möglichst regengeschützten Ort suchen, wo man geduldet wird. So einen zu finden ist oft nicht einfach, vor allem nicht für eine Gruppe von Menschen. Doch es gibt gute Gründe dafür, in einer Gruppe zu bleiben. Ich erinnere mich an einen Kollegen, der vor sieben Jahren von Jugendlichen in seinem Schlafsack angezündet wurde und verbrannt ist. Und nur einen der Täter hat man aufgrund der Video-Überwachungskameras geschnappt! Zu mehreren unterwegs zu sein, bietet keine Garantie, aber es vermindert das Risiko immerhin etwas.“

Melanie weiter zum Thema Gewalt: „In der Stadt reagiert niemand auf Hilferufe. Vermutlich, weil sie dort einfach alltäglich sind. Wirklich niemand schaut auch nur hin! Aber so etwa fünf Stationen raus aus der Stadt wird reagiert, wenn jemand Hilfe braucht.“

Badezimmer
Ein weiteres großes Problem für Menschen „auf der Straße“: Öffentliche Toiletten sind Mangelware. Und Angebote wie die von Sanifair kosten nicht nur einen Euro pro Benutzung, sie haben auch noch sonntags geschlossen.

Büro
Unsere Stadtstreife nähert sich ihrem Ende. Auf dem Weg zu Melanies „Arbeitsplatz“ in „bester Lage“ (da in der Fußgängerzone in der Nähe vom Hauptbahnhof) erfahren wir vor dem Abschiednehmen noch existenziell Wichtiges. Wie zum Beispiel: Es gibt nur sechs öffentliche Trinkbrunnen in Bonn, also Anlagen, die Trinkwasser gratis zur Verfügung stellen, beispielsweise zum Abfüllen einer mitgebrachten Flasche, was aber nicht mal alle technisch zulassen. Sechs Brunnen hört sich ja ohnehin schon nicht nach viel an. Aber im Winter werden auch diese sechs abgestellt – wie es heißt, aus Frostschutzgründen.

Wie viele Obdachlose gibt es denn eigentlich in Bonn? „Wir sind so um die 85, die sich übrigens alle mit Namen kennen“.

Zwei Wünsche
Eine Aufforderung und zwei Wünsche formuliert unsere Führerin noch vor dem Abschied für heute: „Wenn Euch noch weitere Fragen einfallen sollten und Ihr in der Stadt seid, besucht mich einfach in meinem Büro. Ihr wisst ja jetzt, wo genau und wann ihr mich dort findet!“
Melanie betont, dass es okay wäre, einer bettelnden Person nichts zu geben, „aber wenn Ihr uns etwas geben wollt, dann fragt bitte vorher, statt einfach irgendetwas zu kaufen.“ Sie erzählt von einer netten Dame, die loszog und einen 40-Kilo-Sack Kartoffeln für sie gekauft habe. “Das war lieb gemeint, aber auch arg schwer für jemand, der ohnehin schon die meisten seiner Besitztümer mit sich herumträgt. Und ohne Herd sind die auch einfach schwer zuzubereiten…“
Hart trifft die Obdachlose, dass viele meist so tun, als gäbe es die Obdachlosen nicht. Dass die Menschen scheinbar durch sie hindurchschauen: “Jeder Mensch möchte gesehen und beachtet werden.“ Und sie erzählt von einem Experiment: „Sonntags sitze ich in meinem Büro und wünsche jedem einen guten Morgen – dann zähle ich mit, wie lange es dauert, bis jemand antwortet.“ Die Schüler scheint es ganz schön zu treffen, als Melanie ihnen erzählt, dass beim letzten Experiment erst nach 183 „Guten Morgen“ jemand zurück grüßte: „Schaut bitte nicht weg, wenn Ihr Obdachlose seht. Es kann jeden treffen.“

Hier geht es zu einem Beitrag des WDR zur Stadtstreiferin Melanie Konrad in der Mediathek…

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