Liebe Leserinnen und Leser,
ich kann mich an Zeiten erinnern, als Hersteller besonders sportlicher Automobile in ihren Hochglanzbroschüren gern mit dem hohen Maß an „Aktiver Sicherheit“ warben, die ihre sportlichen Automobile boten. Gemeint waren damit jedoch nicht intelligente Fahrerassistenzsysteme, sondern die besonders PS- und drehmomentstarke Motorisierung.
Die Argumentation der Werbetexter: Wenn Du Deinen Wagen bei Tempo 130 noch problemlos und schnell auf 180 km/h beschleunigen kannst, empfindest Du nicht nur Glücksgefühle. Dank dieser tollen Motordynamik kannst Du einen Überholvorgang auch sehr viel schneller – und damit sicherer – abschließen. Nun ja, die wussten schon, warum sie nicht geschrieben haben „Mit Bleifuß überholen und in den Sitz gepresst zu werden ist einfach voll geil!“
Voll geil mag für den einen oder anderen Sicherheitsverantwortlichen auch die Vorstellung sein, einen Dieb nicht nur von seinem Tun ab-zuhalten, sondern ihn zugleich schmerzhaft dafür abzustrafen. Die Meinungen dazu sind geteilt. Der Redaktionskollege Rochus Zalud teilt sie zum Beispiel nicht (siehe Beitrag rechts).
In der Sicherheitsplanung haben sich – das darf man wohl behaupten – eindeutig defensivere Sicherheitsstrategien durchgesetzt. Man setzt, in der Regel aus gutem Grund, eher auf den Schild als aufs Schwert: So ballert man nicht ungesetzlich auf angreifende Spionage-drohnen, sondern baut Fangnetze. Man setzt auf Brandfrüherkennung statt auf Löschangriffe oder Sprinkleranlagen (vor allem im RZ-Bereich). Man installiert gut sichtbare Videotechnik, statt Fallgruben auszuheben. Nationen bedienen sich der Abschreckung, indem sie aggressiven Gegnern klarmachen, dass der Verlust größer sein wird als der zu erwartende Gewinn eines Raubzuges. Und die Diplomatie setzt ebenso wie die Polizei auf Deeskalationsstrategien statt auf Angriffskriege und Wasserwerfer (Ausnahmen bestätigen die Regel). Deeskalation bei größtmöglicher Entemotionalisierung hilft, aggressive Sicherheitsmaßnahmen zu vermeiden. Diese sollten auf Notfall- bzw. Notwehrsituationen beschränkt bleiben: der militärische Einsatz oder der finale Rettungsschuss z. B. Ich erinnere mich auch an einen Terrorexperten, der in einem seiner Bücher Opfern oder Geiseln empfahl, nicht zimperlich bei der Entwaffnung eines Terroristen zu sein (wenn es denn keinen anderen Ausweg mehr gibt).
Die Beantwortung der Frage, ob man defensive oder aggressive (beides kann präventiv sein) Schutzmaßnahmen einsetzt, hat sich stets am Schutzziel zu orientieren. Und wenn sich dieses Schutzziel im Stil einer Taube statt eines Falken erreichen lässt, so ist ersteres zu bevorzugen. Auch keine schlechte Idee ist es, immer eine Phase früher aktiv zu werden als man denkt (also z. B. schon am Grenzzaun statt erst am Eingang).
Gefährdungsanalyse, Risikobewertung, Schutzzieldefinition, Schutzzonenbildung nach dem Zwiebelschalenprinzip … alles Methoden, die tendenziell eher zu defensiven, möglichst intelligenten Schutzmaßnahmen führen. Über all das berichtet der Sicherheits-Berater auch in Zukunft immer und immer wieder.