Liebe Leserinnen und Leser,
die einen halten den Individualverkehr für ein Menschenrecht, die anderen für die Ursache allen Übels in Zeiten der Klimakatastrophe. In Pandemiezeiten jedenfalls bedeutet Bus-und-Bahn-Fahren ein Sicherheitsrisiko, das sich wohl durch keine Coronaverordnung oder persönliche Präventionsmaßnahme vermeiden lässt.
Mein Weg zur Arbeit bzw. in die Redaktion mit dem Auto entwickelt sich zunehmend zum Schneckenrennen: Ein Tunnel aus den Siebzigern muss renoviert werden. Also gibt es eine Fahrbahnverengung von zwei Spuren auf eine. Und der Prozentsatz der Zeitgenossen, die das mit dem Einfädeln nach dem Reißverschlussprinzip vor der Engstelle wohl niemals begreifen werden, sinkt zwar zum Glück, ist aber immer noch viel zu hoch. Ergebnis: Stau bis Stillstand des Verkehrsflusses. Das gleiche Spiel wiederholt sich ein paar Kilometer später auf einer Rheinbrücke, allerdings ohne Baustelle, einfach wegen der Beschleunigungsspurdemenz der Bevölkerung.
Es spricht also im Prinzip alles dafür, mit öffentlichen Verkehrsmitteln anzureisen. Dabei trage ich selbstverständlich, schon zu meinem eigenen Schutz, eine FFP2-Maske, mache mich als Luftaustauschfanatiker und Fensteröffner (in der S-Bahn) bei verschiedenen Frostbeulen unbeliebt und bin bemüht, den größtmöglichen Abstand zu Mitreisenden einzuhalten. Letzteres ist, man muss es leider so sagen, liebe ÖPNV-Fans, ein Ding der Unmöglichkeit. Allein die Anordnung der Sitze – die Leute sitzen Rücken an Rücken und somit nahezu Kopf an Kopf – lässt ein zweckmäßiges Abstandhalten im Sinne der Coronaprävention gar nicht zu. Wie Menschen, die mit dem Auto schon nicht einfädeln können, beim Ausstieg an den S-Bahn-Türen den Abstand wahren sollen, wird für immer ein Rätsel bleiben. Ich tröste mich mit der Info, das ein nur kurzzeitiges Zusammentreffen mit einem Coronainfizierten weitgehend ungefährlich ist. Außerdem ist da, wo ich einsteige, Endstation, das heißt, die Bahn noch relativ leer. Ich finde also früh genug einen Geheimtipp-Einzelsitz direkt hinter der Fahrerkabine. Da kann sich niemand unmittelbar neben mich setzen. Vermeintlich perfekt.
Leider geschehen Sicherheitspannen immer in den berühmten Ausnahmefällen: Plötzlich bleibt die Bahn nämlich auf freier Strecke stehen. Die Vorgängerbahn hatte eine Panne. Deren Fahrgäste müssen aussteigen – um schließlich in „meine“ Bahn zuzusteigen: Urplötzlich ist die Bahn proppenvoll, eine Schulklasse mischt sich unter, die Menschen stehen dicht an dicht, die Luft wird schnell stickig und ich muss mir beim Aussteigen einen Weg durch die Menge zur Tür bahnen. Dumm gelaufen. Bei allen Pluspunkten, die der öffentliche Personennahverkehr unbezweifelbar bietet, bleibt die Erkenntnis: Es gibt keine Pandemietauglichkeit von Bussen und Bahnen. Auch Flugzeugen muss ich mittlerweile aufgrund entsprechender Erfahrung misstrauen. Man darf gespannt sein, was passiert, wenn das 9-Euro-Ticket kommt. Vielleicht wird es Zustände geben wie in den U-Bahn-Stationen von Tokio – mit Gedränge und Geschiebe. Ich denke, ich werde im Sommer öfter einmal mit dem Moped anreisen – permanenter Frischluftaustausch garantiert.