Liebe Leserinnen und Leser,
Menschen neigen ganz offensichtlich dazu, die Gefahren von Sicherheitsrisiken zu verdrängen, wenn es über einen längeren Zeitraum nicht zu Sicherheitsvorfällen und Schadensfällen kommt. Sicherheitsverantwortliche sollten sich von dieser menschlichen Schwäche unbedingt freimachen können. Und sich auch niemals an Sicherheitsrisiken gewöhnen. Alles andere wäre fahrlässig.
Am 12.7.2023 widmete sich das Handelsblatt in einem recht ausführlichen Beitrag der Situation zwei Jahre nach dem Extremwetterereignis Bernd, das unter anderem im Ahrtal gewütet hatte (https://nachrichten.handelsblatt.com). Anlass dürfte wohl eine Pressemitteilung der Zurich Gruppe Deutschland vom 5.7.2023 gewesen sein: “‘Flutdemenz’: Zwei Jahre nach dem Extremwetterereignis Bernd ist das Vergessen das größte Risiko“ (www.newsroom.zurich.de). Um es zu verkürzen: Mit „Vergessen“ ist gemeint, Präventionsmaßnahmen nicht in ausreichendem Maße zu ergreifen – sei es auf Seiten des Krisenmanagements, des Gesetzgebers oder auch auf Seiten der Immobilienbesitzer. Letztere entscheiden sich immer noch erstaunlich oft gegen den Abschluss einer Elementarrisikoversicherung. Einzelne bauen ihre durch die Flut zerstörten Häuser sogar wieder an gleicher Stelle im Hochrisikogebiet auf, was natürlich kaum noch erschwinglich versicherbar ist.
Das Vergessen bzw. Nichtbeachten von Sicherheitsrisiken sollte für Sicherheitsverantwortliche selbstverständlich nicht in Frage kommen. Um dieser Aussage Nachdruck zu verleihen, sei darauf verwiesen, dass auch Sicherheitsverantwortliche ganz persönlich zu Schaden kommen können, wenn sie Präventionsmaßnahmen unterlassen oder missachten. Die „bz – Zeitung für die Region Basel“ berichtete kürzlich über einen tragischen Fall, bei dem ein Sicherheitschef einer Baustelle am Zwingner Bahnhof (Schweiz) von einem vorbeifahrenden Schnellzug erfasst wurde und zu Tode gekommen war (www.bzbasel.ch). Doppelt tragisch: Der Bauleiter und ein „Sicherheitswärter“ standen nun vor Gericht, weil sie den Sicherheitschef nicht vor der Gefahr gewarnt hatten (das Urteil lag uns bei Redaktionsschluss noch nicht vor). Kurzum, wer auch immer für Sicherheit zuständig ist, sollte seine Aufgabe dementsprechend auch dann wahrnehmen, wenn er sieht, dass sich der Sicherheitschef selbst in Fahrlässigkeit übt bzw. in Gefahr begibt.
Der Kampf gegen das Vergessen von Sicherheitsrisiken ist ein Kampf gegen die menschliche Natur. Wenn Sicherheitsrisiken über einen längeren Zeitraum keine negativen Folgen bewirken, antwortet der Mensch (wie das Tier) mit Gewöhnung. In der Verhaltensforschung nennt man dieses Phänomen „Habituation“. Die dient dazu, dass uns unnütze Reaktionen erspart bleiben. Wären Sie ein Krallenfrosch und ich würde immer wieder an Ihre Terrarienscheibe klopfen, zuckten Sie bald nicht mehr bei jedem Klopfgeräusch zusammen. Tun Sie’s trotzdem.